Was hat Leadership mit Hexerei zu tun?

Nach der germanischen Vorstellung war die Hexe eine Zaunreiterin. Mit dem einen Bein war sie im Gebiet des eigenen Gehöfts, mit dem anderen Bein im angrenzenden Land. Hexen waren weder ganz hier noch ganz da. Überlieferungen berichten, dass sie bestehende Paradigmen in Frage stellten. Viele von ihnen wurden verbrannt, da sie unpopuläre Informationen innehielten.

Hier sehen wir den Zusammenhang zwischen Leadership und Hexerei. Organisationen benötigen die Auseinandersetzung mit der Grenze zwischen innen und außen, also eine symbolische Hexenfunktion, die genau beobachtet, was draußen los ist und diese Informationen der Organisation zur Verfügung stellt. Auch heute noch werden viele dieser mutigen „ZaunreiterInnen“ symbolisch verbrannt, da sie unpopuläre Informationen ins Unternehmen bringen.

Mit dem „Outside-Insight Konzept“ werden Organisationen in die Lage versetzt, das „Hexen-Potenzial“ in ihrer Organisation systematisch zu erweitern, um damit genügend Irritationspotenzial für die notwendige Selbsterneuerung aufzubauen.

Unser Verständnis von Leadership

Wir vertreten den Standpunkt, dass Organisationen gut beraten sind, nicht nur auf die Qualifikation, Suche und Auswahl von Führungskräften zu schauen, sondern gleichermaßen dafür zu sorgen, dass Leadership in der Organisation so verankert wird, dass durch die etablierten Kommunikationsstrukturen, Routinen, Prozesse und Werte, Leadership in dem beschriebenen Sinne als Ressource zur Verfügung steht.

Damit schützen sich Organisationen vor der Abhängigkeit sogenannter „charismatischer Führungspersönlichkeiten“, die im schlimmsten Fall die Organisation nicht führen, sondern verführen.
Um die Balance zwischen der Innen- und der Außenperspektive zu sichern, muss sich die Organisation mit der Grenzziehung zwischen Innen und Außen intensiv beschäftigen. Hierzu sind Personen und Prozesse notwendig, die sicherstellen, dass die Funktion des „Zaunreitens“ hoch entwickelt wird, was wir mit Leadership verbinden.

In diesem Sinne verstehen wir die Fähigkeit, den Nutzen der Hexen zu erkennen und zu verankern, als eine wichtige Kernfähigkeit von Organisationen, die es zu etablieren und weiterzuentwickeln gilt.

Kommunikationsprozesse etablieren

Leadership ist dann vorhanden, wenn Organisationen über die notwendigen Prozesse, Strukturen und Weltbilder verfügen, um die ständige Beobachtung zu prozessieren und auszudifferenzieren. Organisationen mit Leadership werden dafür sorgen, dass genügend Personen auf dem Zaun sitzen, um sowohl nach außen als auch nach innen zu schauen. Personen, welche die Hexen-Funktion des „Zaunreitens“ übernehmen, werden von der Organisation genauso geschützt wie vorhandenes Know-how, welches Wettbewerbsvorteile sichert.

Leadership bedeutet in diesem Sinne, dass geeignete Kommunikationsprozesse etabliert werden, die es ermöglichen, dass Beobachtungen von den „Hexen auf dem Zaun“ ausgewertet werden und die Erkenntnisse in Entscheidungen einfließen.
Das Zaunreiten wird aktiv gefördert und belohnt. Versuche, die Hexen zu verbrennen, werden im Keim erstickt, da erkannt wird, dass die Hexen (entweder in Person oder als etablierte Routinen) helfen, die Selbstbezüglichkeit der eigenen Organisation zu durchbrechen. Das Ergebnis ist, dass sich die Organisation mit ihren relevanten Umwelten auseinandersetzt, Erwartungen und Forderungen erkennt und bei den eigenen Handlungsmustern und repetitiven Prozessen berücksichtigt.

Organisationen – Innen- und Außenperspektive

Die Selbstbezüglichkeit von Organisationen kann sie blind für die dynamischen Anforderungen der relevanten Umwelten machen.  Auf der einen Seite ist Effektivität und Effizienz gefordert, um attraktive Leistungen anzubieten. Hierfür sind Stabilität und Komplexitätsreduktion unterstützende Faktoren.

Auf der anderen Seite muss die Organisation ständig nach außen schauen, um Veränderungen bei den relevanten Umwelten zu erkennen, diese intern zum Thema machen und über Irritation (Irritation ist notwendig, da sich die Organisation von Natur aus auf die eigenen internen Operationen konzentriert) dafür sorgen, dass passende Strukturen und Routinen etabliert werden, die sicherstellen, dass der Output an Attraktivität nicht verliert, sondern gewinnt (etwas, was kein Selbstgänger ist).

Führung sorgt für Stabilität und Dynamik gleichermaßen. Etablierte Prozesse und Routinen sind zu optimieren und zu schützen, um Effektivität und Effizienz sicherzustellen. Darüber hinaus sind aber ebenso die relevanten Umwelten genau zu beobachten, um Veränderungen zu erkennen oder Trends aufzugreifen, sodass diese dann prominent zum Thema erklärt und in der Organisation bearbeitet werden.

Die derzeitig zu beobachtende Dynamik in den unterschiedlichen Umwelten begründet die These, dass Organisationen die oben beschriebene Führungsfunktion benötigen, in ausreichendem Maße vorhalten und auch praktizieren müssen. Mehr denn je muss die Frage gestellt werden, wie der Führungsprozess auszudifferenzieren ist, um den ständig wechselnden Anforderungen gerecht werden zu können, sodass der nachhaltige Unternehmenserfolg gesichert bleibt.

Leadership: Unsere Vorgehensweise

Im Rahmen des aufgezeigten Organisationskontextes verbinden wir Leadership mit folgenden Herausforderungen, die von Personen und etablierten Routinen zu bewältigen sind:

  • Eine Identität und ein Zukunftsbild schaffen. Dafür sorgen, dass die Organisation eine klare Identität und Antworten auf die Fragen hat: Wofür sind wir da? Wohin wollen wir?
  • Den Soll-Zustand konfrontieren. Die Organisation unter Strom setzen, indem der Ist-Zustand mit möglichen Soll-Zuständen konfrontiert wird. Eine klare Ausdifferenzierung zwischen dem Innenverhältnis und den relevanten Umwelten (dem Außenverhältnis) sicherstellen
  • Für Fokussierung sorgen. Die Organisation konsequent auf verabschiedete Ziele hin organisieren. Dafür sorgen, dass die große Linie eingehalten wird, auch wenn Ereignisse es erforderlich machen, taktisch zu agieren
  • Zaunreiten fördern und prozessualisieren. Dafür sorgen, dass die symbolischen Hexen auf dem Zaun (Personen oder Prozesse) im Unternehmen eine Plattform bzw. Raum bekommen und nicht verbrannt werden. Geeignete Kommunikationsroutinen etablieren, damit die Beobachtungen von außen im  Inneren ausgewertet und verwertet werden
  • Innen- und Außenperspektive gleichermaßen sehen. Die Balance zwischen Erhaltung und Erneuerung spielen. Aktuelle Themen konsequent belegen, um das Unternehmen zukunftsfähig zu halten. Andererseits Gutes schützen, um die Funktionsfähigkeit der Organisation nicht zu gefährden
  • Für Entscheidungsprogramme sorgen. Die Organisation mit programmatischen Entscheidungsprämissen versorgen, um den Unternehmensentwicklungsprozess klar auszurichten. Entscheidungsprogramme sorgen für die Kriterien der Richtigkeit von Entscheidungen. Zweckprogramme legen fest, welchen Output bzw. welche Ziele die Organisation anstreben soll (um… zu…). Konditionalprogramme legen fest, wie in der Organisation auf bestimmte Inputs zu reagieren ist (wenn…dann…)
  • Prozesse beschreiben und optimieren. Prozesse so stabilisieren und optimieren, dass die Leistungen der Organisation effizient und effektiv erbracht werden können
  • Kommunikationsstrukturen beeinflussen und interne Spielregeln der Interaktion und Kommunikation festlegen. Hierarchiefreie Kommunikation möglich machen, ohne die formale Hierarchie aufzulösen. Nichthierarchische Lösungsprozesse initiieren, die sachbezogen nach den besten Lösungen suchen. Die richtigen Leute in der Organisation zusammenbringen und dafür sorgen, dass aus der Kommunikation heraus gute Lösungen gefunden werden, um die vorhandene Intelligenz der Organisation zu nutzen
  • Die richtigen Leute holen und halten. Mit Personen sind Programme verbunden. Darauf achten, dass die richtigen Mitarbeiter am richtigen Platz zum Einsatz kommen. Notwendige Personalentscheidungen unverzüglich herbeiführen und umsetzen
  • Für die passenden Beobachtungs- und Bewertungsraster sorgen und die kulturellen Merkmale einer Organisation bestimmen. Durch welche Linse soll bewertet und Entscheidungen vorbereitet werden? Was ist erwünscht und was ist nicht erwünscht? Wer kommt in die Organisation rein und wer fliegt raus? Wer wird gefördert und wer wird auf das Abstellgleis gestellt? Die Akteure in der Organisation beobachten genau, durch welche Handlungen solche Fragen beantwortet werden, womit kulturelle Merkmale einer Organisation maßgeblich festgelegt werden

Das Führungsrad: Die Bestandteile kennenlernen

Die Organisationsverhältnisse immer wieder beobachten, die Beobachtungen auswerten und Handlungsbedarfe herausarbeiten. Dabei drauf schauen, welche Beobachtungsmuster beim Beobachten benutzt werden, um daraus weitere Handlungsoptionen zu erkennen.

Randnotiz zur Management-Literatur

Wie schon ausgeführt, suchen Menschen in Krisenzeiten verstärkt nach Orientierung und erwarten Führung, Management und/oder Leadership. Die einschlägige Managementliteratur beschäftigt sich seit Jahrzehnten intensiv mit dem Thema Führung und Management. Der Platz reicht nicht aus, um der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Definitionen und Beschreibungen gerecht werden zu können.

Nachfolgend einige Angebote von namhaften Autoren, die sich mit Führung und Management professionell beschäftigen: In dem Buch Helmut Schmidt – Außer Dienst ist auszugsweise auf S. 80 Folgendes zu lesen:

Eine Beobachtung zum Sprachgebrauch der Deutschen sei hier am Rande vermerkt. Ich weiß, dass die Worte Führen und Führung wegen des nationalsozialistischen Führungskults in Deutschland recht ungern gebracht werden, aber es gibt in unserer Sprache kein anderes Wort, das besser geeignet wäre. Anders als in England oder in den USA, wo das Wort „Leader“ selbstverständlich ist, vermeiden wir immer noch das Wort Führer.

Wir vertreten ebenfalls die Meinung, dass Führung aus unserem heutigen Wortschatz nicht mehr wegzudenken ist und wir dafür sorgen müssen, dass Führung in Organisationen stattfindet. Wie schon ausgeführt sehen wir Führung als eine funktionale Herausforderung und möchten den Fokus nicht nur auf die „Führungspersönlichkeit“ lenken.

Fredmund Malik überschreibt wirksames Management mit Führen Leisten Leben. In seinem Klassiker beschreibt Malik „Richtiges und gutes Management als Schlüssel zum Erfolg“. Malik macht deutlich, dass Management von der Funktion her verstanden werden muss, dass es darum geht, Aufgaben zu erfüllen, Arbeit zu leisten und Beiträge zu erbringen, schlussendlich ist Management die Transformation von Ressourcen in Nutzen. „Wirklich richtiges Management führt dann zu Effektivität und Effizienz.“

Wenn wir uns die englische und amerikanische Literatur genauer ansehen, so können wir feststellen, dass zwischen Führung und Management ein Unterschied gesehen wird.

Rudolf Wimmer (2008): Interview, Bernhard Krusche, Paradoxien der Führung, S. 75 definiert Führung wie folgt:

Führung ist für mich eine Funktion innerhalb sozialer Systeme, die darin besteht, dass Funktionsträger auf das Ganze der Organisation schauen und dabei eine ganz bestimmte Aufmerksamkeit mobilisieren, indem sie den jeweiligen Verantwortungsbereich unter folgenden Gesichtspunkten beobachten: Sind wir angesichts dessen, was unsere Aufgabe ist, gut unterwegs oder nicht? Führung nimmt zuallererst das Ganze in den Blick und setzt von dort aus den jeweiligen Verantwortungsbereich gewissermaßen unter Strom, um so den Ist-Zustand mit möglichen Soll-Zuständen zu konfrontieren. Diese Spannung steht somit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Existenzgrund einer jeden Organisation, der Frage: Wofür sind wir da?

Fritz B. Simon (2008): Interview, Bernhard Krusche, Paradoxien der Führung, S. 132 versteht unter Führung

[…] die Kommunikationsstrukturen, die Weltsicht und die Entscheidungsgrundlagen der Organisation bzw. deren Mitglieder zu beeinflussen – wohl wissend, dass all dies nicht nach einem geradlinigen Ursache-Wirkungs-Modus per Anordnung oder durch Kontrolle zu erreichen ist. Führung ist ein ganz zentraler Einfluss auf die internen Spielregeln der Interaktion und Kommunikation.

Quellen

Covey, S.R. (2004) Der 8. Weg, Mit Effektivität zu wahrer Größe (Gabal)
Häfele, W. (2007) OE-Prozesse initiieren und gestalten (Haupt)
Kaudela-Baum, S. (2006): Strategisches Human Ressource Mana-gement im Wandel (Haupt)
Krusche, B. (2008): Paradoxien der Führung. Aufgaben und Funktionen für ein zukunftsfähiges Management (Carl-Auer)
Malik, F. (2005): Management, Das A und O des Handwerks (F.A.Z. Buch)
Schmidt, H. (2008): Helmut Schmidt, Außer Dienst – Eine Bilanz (Siedler)
Simon, F.B. (1992): Radikale Marktwirtschaft, Grundlagen des sys-temischen Managements (Carl-Auer)
Simon F.B. (2007): Einführung in die systemische Organisationstheo-rie
Wimmer, R. (1996): Die Zukunft von Führung: Brauchen wir noch Vorgesetzte im herkömmlichen Sinn? Organisationsentwicklung 4: 46-57
Zink, F. (2008): Finanzkrise bringt neue Weltordnung (ZDF-heute.de)